23. Oktober 2012

Leigh Bardugo - Grischa. Goldene Flammen

2012, Gebunden mit Schutzumschlag, 350 Seiten
€ (D) 17,90 | € (A) 18,40
ISBN 9783551582850

Alina ist einfache Kartografin in der Ersten Armee des Zaren. Dass sie heimlich in Maljen verliebt ist, ihren besten Freund seit Kindertagen, darf niemand wissen. Schon gar nicht Maljen selbst, der erfolgreiche Fährtenleser und Frauenschwarm. Bei einem Überfall rettet Alina Maljen auf unbegreifliche Weise das Leben. Doch was sie da genau getan hat, kann sie selbst nicht sagen. Plötzlich steht sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und wird zum mächtigsten Grischa in die Lehre geschickt. Geheimnisvoll und undurchschaubar, wird er von allen der Dunkle genannt. Aber wieso fühlt sie sich von ihm so unwiderstehlich angezogen? Und warum warnt Maljen sie so nachdrücklich vor dem Einfluss des Dunklen?


Das ist Grischa: Ein genialer Bucheinstieg, ein wortwörtlich mittelmäßiger Mittelteil und ein krachendes Ende zwischen einem Cover, das ich mir gerne an die Wohnzimmerwand hängen würde (so schön *.*).
Ich werde hier nicht viele Worte verschwenden, denn das, was ich zu sagen habe, ist schnell gesagt:

"Grischa" beginnt mit einem Prolog aus Kinderaugen. Er entführt in ein Land, das einiges mit Russland im 19. und 20. Jahrhundert gemein hat. Leigh Bardugo muss gar nicht viele Worte verlieren, um ein Setting zu kreieren, das an die Taiga erinnert. Nadelbäume, weite Landschaften, Berge in der Ferne, ein kalter Wind, der dem Leser Schneeflocken um die Nase weht. Der Zar herrscht über das zerrissene (wortwörtlich!) Land, ein Mann an seiner Seite, der ein wenig an Rasputin denken lässt.
Beim Lesen habe ich gejubelt, weil ich finde, dass Bücher genau so beginnen müssen!

Auftritt der Grischa in ihren bunten Gewändern. Alina, die aufgeweckte und erfrischende Protagonistin, hat ihr ganzes Leben lang nur Geschichten gehört und die Grischa - bis auf eine Ausnahme - immer nur aus der Ferne gesehen. Als sie mit einem Mal in ihrer Mitte steht, so nah am Machtzentrum wie man als eigentlich einfaches Bauernmädchen nur sein kann, versteht sie die Welt nicht mehr.
Die Autorin beschreibt dieses plötzliche aus-der-Welt-gerissen-werden Alinas sehr authentisch. Überhaupt hat es mir Alinas unkomplizierte Art sehr einfach gemacht, in dieses fantastisch angehauchte Russland abzutauchen.

Leider hat meine Lesefreude nach etwa 100 Seiten einem Dämpfer erfahren. Die Organisation der Grischa-Ausbildung hat mich an Harry Potter erinnert. Nicht, dass das an sich schlecht wäre, bloß fand ich es im Fall dieses Buches ein wenig lächerlich: Da fängt "Grischa" so abenteuerlich an und plötzlich ist die Rede von Stundenplänen ... Das Schulmädchen-Getue einiger Charaktere hat mir den Rest gegeben. Nein, nein und nochmal nein! Klar muss Alina erst mal lernen, mit ihren Kräften umzugehen, aber mein Kopf hat sich strikt gegen dieses Bild von Mensaessen auf langen Bänken gepaart mit dem restlichen Fantasysetting gewehrt. Vielleicht weil die Protagonisten (und alle anderen auch) so erwachsen wirken. Da passt Schule einfach nicht. (Keine Ahnung, ob ich das Mensaessen eher akzeptiert hätte, wenn die Schule eine Uni gewesen wäre ...)

Zum großen Glück nimmt "Grischa" gegen Ende eine Kehrtwende zurück zu einer Geschichte, die mich wahrlich gefesselt und begeistert hat. Die letzten Seiten lassen sich praktisch einatmen und der zweite Teil kann nicht schnell genug kommen.

Fazit: Über den Mittelteil drüberkämpfen und wenn möglich hinwegsehen, dann haltet ihr einen wirklich guten Fantasyroman in Händen, der mit vielen kleinen Dingen überzeugt - dazu gehören nicht nur ein Setting, das mich begeistert hat, sondern auch eine Protagonistin, die zugänglich ist und trotzdem ihren eigenen Kopf hat.


21. Oktober 2012

Hannah Harrington - Saving June

Wie in der Rezension zu "Speechless" angekündigt, habe ich Hannah Harrington eine zweite Chance gegeben - und siehe da: "Saving June", ihr Debüt, hat mir tatsächlich besser gefallen. Nicht viel besser, aber immerhin ein Stück.

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2012 (Erstausgabe 2011), ebook von Mira Ink, ca. 336 Seiten
€ 5 bis 9
ISBN 9781408981498

Your sister is dead. Nineteen songs can tell you why. Only one boy can help you understand.

Harper Scott's older sister, June, took her own life a week before high school graduation, leaving Harper devastated. So when her divorcing parents decide to split up June's ashes, Harper steals the urn and takes off cross-country with her best friend, Laney, to the one place June always dreamed of going-California.

Enter Jake Tolan, a boy with a bad attitude, a classic-rock obsession...and an unknown connection to June. When he insists on joining them, Harper's just desperate enough to let him. With his alternately charming and infuriating demeanour and his belief that music can see you through anything, he might be exactly what Harper needs. Except...Jake's keeping a secret that has the power to turn her life upside down again.



 "Saving June" hat mich in der griechischen Sonne durch die ersten Urlaubstage begleitet - dafür ist es wohl ua am besten geeignet. Oder entspannte Sonntage, an denen nichts besseres zu tun ist. Leider. Vom Hocker gerissen hat mich das Buch nicht, aber zum Strandliegen und Sich-Baumeln-Lassen ist es gerade recht.

Einer meiner größten Kritikpunkte an "Speechless" war die über alle Maßen egoistische und unzugängliche Protagonistin. Versteht das nicht falsch. Wir alle sind Egoisten - die einen mehr, die anderen weniger, aber es ist (zumindest in meinen Augen) ein Zug, den ich gerade mit unserer Gesellschaft verbinde - aber es gibt auch egoistische Charaktere, die vom Autor so geschildert werden, dass sie der Leser trotzdem versteht und nicht nur das: Der Leser baut eine Verbindung auf, ist emotional eingebunden - Paradebeispiel ist Lauren Olivers "Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie"/"Before I Fall".
Zurück zu "Saving June": Harper hat wie Hannah aus "Speechless" egoistische Züge, allerdings kann ich hier irklich nur von Charakterzügen sprechen - bei hannah war die egozentrische Ader erstens weit ausgeprägter und zweites unerklärter. Harper konnte ich bis zu einem gewissen Grad verstehen, es war größtenteils logisch dass sie so ist, wie sie ist.

"Saving June" lässt sich in zwei bekannte Kategorieren stecken: Die Aufkleber "Selbstmord"-Buch und "Roadtrip"-Buch halten sich die Waage. Mich hat die Kombination aus beiden gereizt, doch die Aufregung verpuffte schon nach wenigen Seiten, als bei mir der Eindruck entstand, Junes Selbstmord sei nur ein Vorwand für den Raodtrip. Mit der Zeit musste ich den Konjunktiv streichen. Während des ganzen Roadtrips kam nie so wirklich heraus, warum sich June eigentlich das Leben genommen hat. Das Thema wird nur fadenscheinig abgetan und ich habe mir selbst eine "Erklärung" zurecht gelegt: Es gibt wohl nicht immer eine begründete und stukturierte Backgroundstory. Manchmal kommt man zu einem Punkt, an dem man andere Menschen nicht mehr verstehen kann, weil ihre Perspektiven einem selbst völlig fremd sind.
Keine Ahnung, ob Hannah Harrington auf diese Aussage hinauswollte, ich brauche sie jedenfalls, sonst wäre ich am Ende von "Saving June" ähnlich frustriert gewesen wie nach "Speechless".

Trotzdem hat sich dieser Eindruck nicht mehr löschen lassen, dieser Eindruck, dass die Autorin vordergründig ein Buch über einen Roadtrip schreiben wollte und verzweifelt nach einem Grund für selbigen Trip gesucht hat.

So richtig ins Buch hineingezogen haben mich eigentlich Harpers Reisebegleiter, ihre beste Freundin Laney und Jake, der die Musik ins Buch bringt. Jaaa, Musik! Das zieht immer bei mir. The Beatles, Johnny Cash, Leonard Cohen, Coldplay ... aber auch mir gänzlich un bekannte Musiker finden ihren Platz in Jakes Euphorie. Ein kleiner Bonus für Musik-Freaks sind die drei Playlisten im Anhang des Buches - die werden durchgehört sobald sich die Gelegenheit ergibt.

Zu Sprache und Stil habe ich nicht viel zu sagen, abgesehen davon dass beides einfach gehalten und das Buch so auch für Anfänger in Sachen fremdsprachiges Lesen geeignet ist.


Fazit: Kann man lesen, muss man aber nicht. Am besten bloß, wenn man es eh schon rumliegen hat und einen Nachmittag entspannt und musikalisch verbringen möchte.


9. Oktober 2012

Bettina Belitz - Linna singt

Ich habe den Eindruck, dass ich das ganze Jahr schon dem Blogger-Dasein hinterherhinke. Fast jedes Monat finde ich mich in der Situation wieder, wochenlang nichts von mir gegeben zu haben. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ein ziemlich aufregendes und umbruchsreiches Jahr hinter mir liegt (also, noch nicht ganz, aber immerhin waren die letzten drei Viertel sehr aufregend und umbruchsreich) - aber es zeigt sich doch immer wieder, so auch heute: Ganz werdet ihr mich nicht los ;)

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2012, Gebunden mit Schutzumschlag, 510 Seiten
€ (D) 18,95 | € (A) 19,50
ISBN 978-3839001394

Seit fünf Jahren hat Linna sie nicht mehr gesehen: Maggie, Simon, Jules und Falk, die ehemaligen Mitglieder ihrer Band. Nun treffen sie sich in einer Hütte in den Bergen wieder, um für einen Auftritt zu proben. Linna hatte eigentlich keinen Grund, Maggies Einladung zu folgen, denn was die anderen nicht wissen: Seit damals hat sie keinen Ton gesungen. Doch etwas treibt sie an, sich ihrem alten Leben zu stellen: die Erinnerung an eine Nacht mit Falk, dem Gitarristen. Linna muss sagen, was vor fünf Jahren unausgesprochen blieb, und sie muss hören, ob Falk eine Antwort hat. Bald beginnt die von Anfang an gespannte Atmosphäre zu kippen: Was als zwangloses Wiedersehen geplant war, wird zum zermürbenden Psychospiel, bei dem Linna immer mehr als Lügnerin dasteht. Sie gerät in einen Strudel aus Verdächtigungen, Abhängigkeiten und tragischen Missverständnissen, der sie schließlich zwingt, die Erinnerung an vergangenen Schmerz zuzulassen. Denn dort liegt der Schlüssel zu allem: der Grund dafür, dass Linna nicht mehr singt.


Nachdem ich mit "Dornenkuss" so meine Problemchen hatte (so genau kann ich die gar nicht benennen, ich hab es bloß seit Weihnachten letzten Jahres nicht über Seite 300 hinaus geschafft), war ich umso erleichterter, dass mir Bettina Belitz mit "Linna singt" nochmal eine Gelegenheit geboten hat, ihre herausragende Erzählweise in einem anderen Umfeld zu erleben. Und, wah!, war das ein Erlebnis - "Linna singt" hat sich absolut gelohnt!

Zuallererst ein Dankeschön an Bettina Belitz persönlich, dafür dass sie sich die Genrebezeichnung "Young Adult" wirklich zu Herzen genommen hat. Schon in der "Splitterherz"-Trilogie ist mir das sehr positiv aufgefallen, und auch in "Linna singt" darf ehrlich über Gefühle und Sex gesprochen werden. Kein ärgerliches unter-den-Teppich-Gekehre. YA - vor allem amerkanisches YA - hat mich soweit getrieben, dass ich diesen Aspekt lobend in einer Rezension erwähnen muss, weil er einfach nicht selbstverständlich ist. (Schade.)

Belitz' Protagonisten sind alle über 20 und haben die ein oder anderen Problemchen hinter sich. Linna selbst ist ... speziell. Ich glaube, nicht jeder freundet sich mit ihr an und wahrscheinlich würde ich sie im "echten" Leben nicht mögen. Wahrscheinlich wäre sie mir unsympathisch. Aber das läge daran, dass sie unnahbar, richtiggehend unantastbar ist. Erst mit den verfliegenden Seiten habe ich eine Vielschichtigkeit an ihr entdeckt, die ich ohne den persönlichen Ich-Perspektiven-Zugang niemals aufdecken hätte können. Linna redet nicht gerne von sich und lässt andere lieber glauben, was sie denn glauben wollen. Deshalb kommt diese Vielschichtigkeit auch so überraschend - und verleiht der Geschichte eine Spannung, die ich vorher nicht vermutete hätte.
Linnas Frustration, ihre Kontrollsucht, die spitzen Bemerkungen (die mich auf die Palme getrieben hätten wäre ich ihr gegenüber gestanden). Aber auf der anderen seite auch dieses Verständnis für ihr Benehmen. Die Konfrontation mit dem Charakter Linna werde ich definitiv als eine der aufregendsten Buchbegegnungen in Erinnerung behalten.
Was dieses Buch ausmacht, ist die Zeit, die sich Bettina Belitz für die Präsentation und die Gestaltung ihrer Protagonisten nimmt. Dadurch entstehen ein paar ausschweifenden Passagen und Sätze, aber die Autorin schafft es auf diese Weise, dass der Leser Linna bis ins tiefste Innere kennenlernt. Eine Protagonistin, die noch nicht einmal kennen gelernt werden will.

Neben Linna lernt der Leser ihre ehemaligen Bandmitglieder und den "Neuzugang" Tobi kennen. Ein Zusammentreffen, das gewollt heiter beginnt, das aber bald in Irritation umschlägt, je mehr Linna aufdeckt. Ein angenehmer Hüttenaufenthalt soll es werden, Bandproben, nettes Zusammensitzen. Aber die Anspannung nagt an allen - vor allem auch am Leser, der zuerst eher planlos außenvor sitzt und nicht weiß, worauf das ganze hinauslaufen soll. Aber - da muss man sich keine Sorgen machen - es passiert früh genug etwas und dann kann man froh sein, wenn man vorher tief genug Luft geholt hat, denn atemlos wird es gegen Ende garantiert.
Bloß ... naja, ein paar Sachen waren mir dann doch zu ... ich weiß nicht. Die Auflösungen haben mich nicht wirklich gestört, einige waren wirklich gut und überraschend, aber andere fand ich weit hergeholt oder nicht ganz glaubhaft - zwei, drei Mal habe ich die Augenbrauen hochgezogen und "ahaaaa" gedacht, aber das ist auch schon alles, was ich an negativer Kritik anbringen kann.

Sprachlich ist Bettina Belitz auf gewohnt außergewöhnlichen Pfaden unterwegs. Mir macht es einfach unglaublichen Spaß, jedes einzelne Wort zu lesen, über jedem Satz zu hängen, um ja nichts zu verpassen! Fans ihres Stils werden auch an "Linna singt" ihre Freude haben und das Buch nicht zur Seite legen wollen. Mir zumindest kann es nicht schnell genug gehen, bis Belitz' nächstes Buch erscheint, und wer weiß, vielleicht versuch ich es doch noch mal mit "Dornenkuss" - und wenns bloß der Sprache wegen ist.

Fazit: "Linna singt" begeistert und krallt sich fest. Linna ist eine Protagonistin, die polarisiert. Nicht nur die Leserschaft, sondern auch den Leser als Individuum, und was könnte es Spannenderes geben - zusätzlich zu all den anderen am Verstand nagenden Dingen, die der Handlung Spannung verleihen. Loslassen unmöglich.