18. Juli 2009

Kai Meyer - Herrin der Lüge


Es ist ein dicker Wälzer, der jetzt neben mir liegt, das dickste Buch, dass ich seit Monaten gelesen habe und es hat sich sowas von gelohnt!

Herrin der Lüge spielt im 13. Jahrhundert und erzählt die Geschichte des historisch belegten 4. Kreuzzuges und des Kreuzzuges der Jungfrauen, der jedoch auf das Konto des Autors geht. Es hat zwar durchaus auch Frauen gegeben, die bei den Kreuzzuges zu den Waffen gegriffen haben, allerdings waren sie immer in der Unterzahl und haben auch nie ein eigenes Heer zur Befreiung Jerusalems aufgestellt.
Gleich im Prolog des Buches geht es um das Ende des 4. Kreuzzuges, nämlich die völlige Zerstörung Konstantinopels, um die sich bis heute viele Verschwörungstheorien ranken. Eine solche Theorie macht sich Kai Meyer in Herrin der Lüge zu nutze und wirft zudem noch einen ganzen Haufen gelungener, Meyer-typischer Figuren mit in den Topf.

Saga und Faun, Zwillinge, reisen seit ihrer frühesten Kindheit mit ihren Eltern und Schwestern quer durch das Reich und treten auf Burgen und in Städten als Gaukler auf. Doch als sie sich gerade auf dem Stammsitz der Gräfin Violante von Lerch befinden, wird Faun verhaftet. Saga versucht ihren Bruder zu befreien, gerät dadurch aber selbst in die Gefangenschaft der Gräfin. Bald schon wird klar, dass es eigentlich Saga ist, die Violante sich zu nutze machen will. Oder mehr noch etwas, das in Sagas Innerem schlummert: der Lügengeist.
Sechs Jahre nach der Zerstörung Konstantinopels plant Violante, ihren verschollenen Mann Gahmuret mit Hilfe der Kreuzritter-Orden im Heiligen Land zu finden. Helfen sollen ihr dabei über 5000 Jungfrauen, denen Saga, die beste Lügnerin der Welt, unter Androhung von Fauns Tod das Blaue vom Himmel verspricht. Violante macht Saga zur "Magdalena". Sie zwingt das Mädchen vorzugeben, sie würde in ihren Visionen die Stimme der Maria Magdalena hören, die ihr den Willen Gottes mitteile. Saga fügt sich, weil sie um das Leben ihres Bruders fürchtet, doch während des langen Weges, der sie nach Mailand, Venedig und über die gefährlichen Gewässer des Mittelmeers führt, findet Saga immer mehr Gefallen in der Rolle der Magdalena.
Faun kann sich derweil aus dem Kerker der Gräfin von Lerch befreien und macht sich auf, dem Kreuzzug der Jungfrauen zu folgen. Unterwegs begegnet ihm Tiessa, ein Mädchen, das offensichtlich vor etwas flieht. Die beiden tun sich zusammen, allerdings ahnt Faun lange nicht, wie groß und gefährlich die Verpflichtung wirklich ist, der sie zu entkommen versucht.
Es dauert nicht lange, bis Saga erkennt, dass die Katastrophe unabwendbar ist. Nachdem sie schon mit größter Not einem Attentat entkommen ist, kündigt sich auf einen namenlosen griechischen Insel ein Zusammenprall mit Piraten und Sklavenhändlern an, die von den 5000 Jungfrauen gehört und ganz andere Pläne als Gräfin Violante haben. Und plötzlich muss Saga erkennen, dass sie bei weitem nicht die einzige ist, die sich auf das Lügen versteht. Denn in ihrem Umfeld gibt es offensichtlich viel mehr Lüge als Wahrheit.
Lüge ist oftmals schmerzloser als Wahrheit. Das erfährt besonders Faun am eigenen Leib als er von Tiessas unausweichlichem Schicksal erfährt ... denn sie trägt die Zukunft eines ganzen Reiches auf den Schultern.

Kai Meyer hat mich wiedermal umgehauen. Nachdem ich das Buch ungefähr bei der Hälfte beiseite legen musste, weil ich in den Urlaub gefahren bin, habe ich es in den vergangenen 3 Tagen am Seeufer, im Auto, abends und morgens im Bett, sogar am Küchentisch wahrlich in mich aufgesogen.

Ich kann nur ein weiteres Mal betonen, was viele von euch (besonders die, die meine Beiträge zu den Sturmkönigen gelesen haben) schon wissen:
Kai Meyer schafft in jedem seiner Bücher eine andere Realität. Beim Lesen verwischen Wahrheit und Lüge, und selbst wenn die Lesephase vorbei ist und die Aufarbeitungsphase begonnen hat, kann ich mich nicht damit abfinden, dass all das "nur" eine Geschichte gewesen sein soll. Mir kommt es vor, als wäre es viel mehr. Und ich muss ehrlich gestehen, ich weigere mich bewusst, bestimmte Bücher als "Lügen" abzustempeln, weil sie für mich längst Wahrheiten geworden sind.