7. Juni 2009

Marie-Aude Murail - Simpel

In diesem Buch der französischen Schriftstellerin Marie-Aude Murail wird ein Thema aufgegriffen, das mir - soweit ich mich erinnern kann - noch in keinem Jugendbuch begegnet ist.

Simpel ist ein junger Mann von 22 Jahren, doch mental ist er auf der Stufe eines dreijährigen Kindes. Und er verhält sich auch dementsprechend. Er spielt mit Playmobil. Er spricht mit seinem Stofftier Monsieur Hasehase und lässt sich von ihm dreinreden, wenn er es doch eigentlich besser wüsste. Und er sagt, was er denkt. Wie ein Kind, das sprichwörtlich immer die Wahrheit sagt.

Colbert, Simpels siebzehnjähriger Bruder, kümmert sich um ihn, doch das ist nicht immer so einfach. Denn schon der Kontakt mit anderen Personen führt häufig zu Problemen - den Leuten fällt es sehr schwer mit Simpel umzugehen.
Und ich muss ehrlich zugeben, am Anfang hab ich daran gedacht, das Buch gleich wieder zur Seite zu legen. Es ist wirklich seltsam zu lesen. Schon allein sich vorzustellen, wie wohl ein 22-Jähriger aussieht, der sich wie ein 3-Jähriger benimmt, ist eine Herausforderung. Erst nach einem Drittel des Buches hatte ich wirklich ein Bild im Kopf. Aber auch dieses Bild hat sich wieder verändert.
Zuerst war es das einen bemitleidenswerten Mannes, der sein Leben lang von anderen abhängig sein wird, der von seinem Vater in eine Einrichtung gesteckt wird, vor der Simpel offensichtlich furchtbare Angst hat (er spielt immer Krieg mit dem Personal der Einrichtung), der ständig beschimpft wird, weil die Menschen nicht wissen, was sie sonst zu ihm sagen sollten.
Doch mit der Zeit merkt man, wie sich Simpel wohler fühlt, erst recht nachdem er mit Colbert in eine WG zu vier Studenten zieht. Simpel bekommt eine Rolle. Die Rolle eines Kindes, das die Wahrheit sagt.

Jeder der vier Studenten hat seine eigenen Probleme, die sie sogar manchmal gar nicht realisieren und erst durch Simpel setzten sie sich damit auseinander und finden Lösungen.
Corentin raucht zu viel, bewegt sich zu wenig und findet einfach keine Freundin. Enzo, sein bester Freund, ist in Corentins Schwester Aria verliebt. Außerdem schreibt er an einem Roman, in dem Aria unwissentlich eine Hauptrolle übernimmt. Aria aber ist mit Emmanuel zusammen, der mit einem Mal von ihr verlangt, ihn zu heiraten.
Und dann ist da natürlich noch Simpels Bruder Colbert, der sich nicht zwischen zwei Mädchen aus seiner Klasse entscheiden kann. Für Simpel aber ist schon von der ersten Begegnung mit den zweien weg klar, dass Béatrice rücksichtslos ist, Zahra aber diejenige, die bereit ist, sich mit dem ganzen "Colbert-Packet" - also inklusive seinem geisitg behinderten Bruder - auseinanderzusetzten.

Denn Colbert, das merkt man auch als Leser schnell, weigert sich, seinen Bruder wieder in die Einrichtung zurückzuschicken, in der er so leidet. Er will sich um ihn kümmern, auch wenn er erst 17 ist. Und dieses Verhalten ist mehr als bemerkenswert. (Natürlich weiß ich, dass ich hier von Romanfiguren schreibe, aber so simpel ist das hier nicht. Das ganze Buch wirkt nämlich wie direkt aus dem Leben gegriffen. Es geht sehr nah.)

Zusammenfassend: Den Deutschen Jugendliteraturpreis gab es zu Recht!