15. März 2011

Neal Shusterman - Unwind

erste Ausgaben 2007, Taschenbuch, 335 Seiten
ca. € 7,00 - 9,00
ISBN 978-1416912057

In America after the Second Civil War, the Pro-Choice and Pro-Life armies came to an agreement: The Bill of Life states that human life may not be touched from the moment of conception until a child reaches the age of thirteen. Between the ages of thirteen and eighteen, however, a parent may choose to retroactively get rid of a child through a process called "unwinding." Unwinding ensures that the child's life doesn’t “technically” end by transplanting all the organs in the child's body to various recipients. Now a common and accepted practice in society, troublesome or unwanted teens are able to easily be unwound.


With breath-taking suspense, this book follows three teens who all become runaway Unwinds: Connor, a rebel whose parents have ordered his unwinding; Risa, a ward of the state who is to be unwound due to cost-cutting; and Lev, his parents' tenth child whose unwinding has been planned since birth as a religious tithing. As their paths intersect and lives hang in the balance, Shusterman examines serious moral issues in a way that will keep readers turning the pages to see if Connor, Risa, and Lev avoid meeting their untimely ends.


Was ich denke ...
Ja, klar, schon wieder eine Dystopie. Nur, diese hier ist anders. Von allen Dystopien, die ich bisher gelesen habe, präsentiert "Unwind" eine der schrecklichsten - wenn nicht sogar die schreckliste - Zukunftsvisionen. An menschlicher Brutalität kann es gemessen werden mit "Battle Royale" von Koushun Takami und "The Hunger Games" von Suzanne Collins".

"The Bill of Life states that human life may not be touched from the moment of conception until a child reaches the age of thirteen.
[...] a parent may choose to retroactively 'abort' a child ...
... on the condition that the child's life doesn't 'technically' end.
The process by which a child is both terminated and yet kept alive is called 'unwinding'."

- S. IX

"Unwind" wird im Präsens erzählt und umfasst einen Zeitraum von mehreren Monaten. Die Erzählperspektiven wechseln regelmäßig zwischen Connor, Risa, Lev und anderen beteiligten Personen. Diese drei Protagonisten treffen sich während eines Unfalls auf der Interstate, alle sind sie auf dem Weg in ein Harvesting Camp, in dem der Prozess des Unwinding stattfinden soll, können jedoch gemeinsam fliehen.
Die wechselnden Perspektiven scheinen jedoch weniger der besseren Einsicht ins Gefühlsleben der drei Jugendlichen zu diehnen, als vielmehr sicherzustellen, dass der Leser auch nachdem Connor, Risa und Lev wieder voneinander getrennt werden an allen Fronten des Geschehens mit dabei sein kann. Manche Szenen werden auch nicht direkt aus der Sicht des jeweiligen Protagonisten aufgezogen, sondern über Umwege, also durch andere beteiligte Personen, erzählt.

Das alles resultiert in einem ziemlich nüchternen Schreibstil, die ganze "Arbeit" der Gefühlstransportation von Buch zu Leser passiert durch die Dialoge und scheinbar unüberlegt "hingeschmissene" Zwischensätze. Gerade das hat mich "Unwind" aber als so schockierend empfinden lassen.

Neal Shusterman hat hier eine Zukunftsvision beschrieben, die den Namen "Dystopie" wirklich verdient. Überwachung ist in "Unwind" noch das kleinste Problem. Als Folge des zweiten Bürgerkrieges dürfen Kinder nicht mehr abgetrieben werde, es gibt jedoch die Möglichkeit des Unwinding, was für die Eltern nichts anderes als eine nachträgliche Abtreibung ist. Für die Gesellschaft bedeutet es, "Problemkinder" loszuwerden. Und medizinisch gesehen sichert das Unwinding ein Ersatzteillager - Krankheiten werden längst nicht mehr geheilt, stattdessen ersetzt man einfach laufend jene "Teile", die nicht mehr richtig funktionieren.
Zusätzlich dazu gibt es ein paar andere, ziemlich schräge und - wenn man über den ersten Gedanken hinausdenkt - grauenhafte Praktiken: Neugeborene können vor Haustüren abgelegt werden, wenn die Mutter sich nicht im Stande sieht, das Kind zu behalten. Wird die Mutter dabei erwischt, muss die das Kind behalten, wenn nicht, gehört es ab sofort der Familie des Hauses (nach dem Prinzip "wer's findet, dem gehört's"). Was mit solchen ungewollt aufgedrängten Kindern dann passiert ist leicht vorstellbar ...

"Unwind" behandelt ein Thema, das in den USA und auch bei uns (aber sicher besonders in den USA) regelmäßig für Diskussionsstoff sorgt: Abtreibung. Im Buch werden die klassischen Fragen gestellt - Ab wann hat ein Kind eine Seele? Ab wann lebt es? Gelten 2 Zellen bereits als Leben? Oder hat ein Kind erst mit seiner Geburt ein Recht auf Leben? Wer legt den Wert eines Lebens überhaupt fest? - allerdings bezogen auf 13- bis 18-jährigen Teenager. Die Fragen werden ausgeweitet zu: Ist ein Unwind tot nur weil man ihn "zerlegt"? Oder lebt er in vielen anderen Menschen weiter, endet sein Leben technisch gesehen gar nicht?

Neben dem Thema Abtreibung, das in dem Ausmaß, wie es Shusterman aufzieht, schon ein großes Thema für ein 300-Seiten-Buch ist, schafft es der Autor tatsächlich noch, ganz nebenbei und ohne sich in irgendeiner Weise anzustrengen, das dynamische Gebilde einer Gruppe zu porträtieren. Soziale Strukturen, Eingliederung in eine Gruppe, Opferrollen - alles mitdabei und auch noch sehr gut umgesetzt.

Durch den eher nüchternen Schreibstil sind mir die Charaktere in "Unwind" nicht sofort wichtig gewesen. Besonders Risa war mir anfangs sogar ein bisschen unsympathisch, hat sich im Laufe der ersten 100 Seiten aber zu meiner Lieblingsprotagonistin entwickelt. Im Gegensatz zu Connor, den ich eigentlich von Anfang an mochte bzw. keine Antipathie ihm gegenüber empfunden habe, denkt Risa nach, bevor sie etwas tut und hat, das wird erst nach und nar klar, einen guten Einfluss auf den hitzköpfigen Connor.
Lev ist überhaupt eine ganz eigenen Angelegenheit. Am Anfang hat er mir Leid getan, dann hätte ich ihn am liebsten an die Wand geklatscht, Mitte des Buches mochte ich ihn total und am Ende war da so ein Mischgefühl aus Unglauben, Unverständnis und auch wieder Mitleid.
Insgesamt ist es aber wohl so, dass es bei "Unwind" etwas länger dauert als bei anderen Büchern, bis man wirklich anfängt, mit den Protagonisten mitzuleiden.

Das stört aber im Grunde nicht, weil ständig irgendetwas passiert. Connor, Risa und Lev sind das ganze Buch über auf der Flucht, haben zwischendurch nur selten Zeit, sich auszurasten. "Unwind" ist neben Gesellschaftsanalyse vor allem ein toll geschriebenen, packender Thriller, der Jugendliche wie Erwachsene gleichermaßen fesseln dürfte.
Ein weiterer Pluspunkt: Es wird zwar einen zweiten Teil geben (dazu unten mehr), "Unwind" ist aber größtenteils in sich abgeschlossen und endet insgesamt befriedigend. (Wär ja auch irgendwie blöd, seine Leser 5 Jahre an einem Cliffhanger kauen zu lassen ^^) Raum für einen zweiten Teil ist aber auf jeden Fall vorhanden und ich kann nur sagen: Her damit!


Bewertung
Mehr von solchen Dystopien, bitte! Mr Shusterman, ich würde es vorziehen, nicht in Ihrer Zukunftsvision leben zu müssen. Nichtsdestotrotz ein grandioses Buch voller Spannung, moralischer Fragen und Nachdenkpotential. Wenn ihr Dystopien mögt, dann kommt ihr um diese hier auf keinen Fall herum!






2. Teil und Film
Auf Neal Shusterman's Blog ist in einem aktuellen Post vom 9. März 2011 nachzulesen, dass beides - ein zweiter Teil und ein Film - in Planung sind.

Zu "Unwholly", dem zweiten Teil, schreibt Shusterman:
I’ll be getting to work on the sequel to Unwind as soon as I’m done with the script, and will be delivering the final manuscript in October.  It will be published in the Fall of 2012.
Ich möchte aber nochmal betonen, dass "Unwind" größtenteils in sich abgeschlossen ist!
Der Titel "Unwholly" passt in Anbetracht des Endes von "Unwind" aber sehr gut, zumindest wenn ich das so interpretiere wie ich mir das denke.

Der Film zu "Unwind" soll ebenfalls voraussichtlich 2012 in die Kinos kommen. Shusterman schränkt die Infos von IMDB allerdings ein wenig ein:
I’m writing the script right now.  Chances are looking pretty good that we’re going to be able to get it made as a movie… But it’s all going to depend on the economy, and my script.

6 Kommentare:

Miss Bookiverse hat gesagt…

Das klingt wirkich wirklich gut!

Anonym hat gesagt…

Hier ein kleiner Award von mir:

http://cleesbuecherwelt.wordpress.com/2011/03/15/ein-neuer-blogaward/

Und einen halbherzigen Anschiss, weil du mir dieses Buch hier wieder schmackhaft gemacht hast ... *grr*

StefanieEmmy hat gesagt…

@Miss: Bin mir ziemlich sicher, dass es dir gefallen wird :)

@Anna: Ohh, dankeschön! :D Auch dafür, dass der Anschiss nur halbherzig ist ;)

Meret hat gesagt…

Hei :) ich bin auf einen Kurzfilm über dieses Buch gestossen (im Youtube von MainstayPro) und habe überall nach einer deutschen Ausgabe davon gesucht, fand aber nur "nur" deine Zusammenfassung (welche sich sehr gut &professionell anhört). Weisst du ob es Unwind auch auf deutsch gibt?
Ich werde nochmal suchen :)
Lieber Gruss

StefanieEmmy hat gesagt…

Eine deutsche Ausgabe gibt es bisher leider nicht. Aber das Englisch des Buches ist nicht sehr schwer, mit halbwegs guten Englischkenntnissen ist das zu schaffen :)

sineous hat gesagt…

Fabelhafte Rezension! Das Buch landet gleich auf meiner Wunschliste. Ich liebe brutale, gesellschaftskritische Dystopien und glaubhafte Charaktere.