17. Mai 2011

John Boyne - Das Haus zur besonderen Verwendung

2010, Gebunden mit Schutzumschlag, 559 Seiten
€ (D) 24,90 | € (A) 25,60
ISBN 978-3716026427

Russland 1915: In einem kleinen Dorf verhindert der sechzehnjährige Bauernsohn Georgi mit Glück und Geistesgegenwart ein Attentat auf ein Mitglied der Zarenfamilie. Zar Nikolaus II. ruft Georgi daraufhin nach Sankt Petersburg, wo er ihn zum Leibwächter seines einzigen Sohnes ernennt, der nicht nur als Thronfolger in ständiger Lebensgefahr schwebt. Georgi weicht dem kleinen Zaren fortan nicht mehr von der Seite und findet in ihm einen Freund. In den prunkvollen Sälen des Winterpalais begegnet er auch der Zarentochter Anastasia. Sie verlieben sich, wohl wissend, dass diese Liebe nicht sein darf. Doch Georgi ist entschlossen, für Anastasia bis zum Äußersten zu gehen. Aber dann erhebt sich das Volk gegen den Zaren; das ganze Land taumelt dem Abgrund der Revolution entgegen. Anastasia und ihre Familie werden an einen geheimen Ort verschleppt ins "Haus zur besonderen Verwendung". 


Was ich denke ...
Der Klappentext dieses Buches umreißt eigentlich schon die ganze Handlung - in sehr groben Zügen natürlich. Und mit Ausnahme jener Teile, die nach der Russischen Revolution spielen. Dadurch hat John Boyne mit "Das Haus zur besonderen Verwendung" einen Roman vorgelegt, der irgendwo zwischen Historischer und Gegenwartsliteratur anzusiedeln ist.

Die Erzählung rund um den Bauernsohn Georgi und die Zarentochter Anastasia beginnt nämlich kurioserweise im Jahr 1981, von wo aus der gealterte Georgi sein Leben nach der Flucht aus Russland beschreibt. Erst dann greift die Handlung direkt in seine Jugend ein und beschreibt, wie er im Jahr 1915 an den russischen Zarenhof gelangte.
Dies deutet schon die ungewohnte Erzählweise, die John Boyne für seinen Roman gewählt hat, an. Eine, die mich wirklich begeistert hat! Zeitlich arbeitet sich der Autor von zwei Seiten - dem Jahren 1915 und 1981 - auf einen gemeinsamen Mittelpunkt vor. Die beiden Erzählstränge treffen sich schließlich, wie man daraus schließen kann, am Ende des Buches.
Trotzdem schafft es Boyne, dem Leser nie irgendwelche Informationen vorwegzunehmen. Ich muss gestehen, dass ich mit "Das Haus zur besonderen Verwendung" ein paar Einstiegsschwierigkeiten hatte. Doch nach einer Gewöhnungsphase konnte ich das Buch gar nicht mehr weglegen! Das hängt vor allem auch mit der ausgeklügelten, ja klugen, Erzählweise zusammen, die den Leser immer weiter voran bzw. zurück treibt.

Um den unangenehmen Teil gleich abhacken zu können: Es gibt einen kleinen Kritikpunkt, den ich dem Autor und dem Buch anprangern muss. Die Liebesgeschichte zwischen Anastasia und Georgi, so schön ich sie beschrieben fand, hätte sich meiner Meinung nach nicht so schnell entwickeln sollen. Dem Autor stand dafür ein Zeitraum von 3 Jahren zur Verfügung (1915 - 1918), trotzdem sehen sich die beiden nur drei Mal bevor sie unsterblich ineinander verliebt sind. Der Platz für eine langsame Entwicklung wäre da gewesen.
Wie gesagt, ein kleiner und der einzige Makel.

Bei historischen Romanen stelle ich mir ja auch immer die Frage nach der Korrektheit des ganzen. Diese ist im Fall von "Das Haus zur besonderen Verwendung" zwar vor allem gegen Ende nicht gegeben (was ich aber auch nur deshalb weiß, weil ich das Thema wegen meiner Bachelorarbeit ausführlich recherchiert habe), aber ich denke, in diesem Fall kann man den Ausgang des Buches gerne als schriftstellerische Spekulation und Freiheit abtun.

"Das Haus zur besonderen Verwendung" ist nämlich neben seiner historischen Aufarbeitung der russischen Revolution - wobei das ganze sehr aus Sicht der Zarenfamilie präsentiert wird - vor allem die Lebensgeschichte zweier Menschen, die Krisen wie alle anderen durchlebt haben. Krieg, unerfüllter Kinderwunsch, Diskriminierung fern der Heimat, Krebs.
Außerdem hat der Leser hier einen Roman über das 20. Jahrhundert und seine Katastrophen vor sich. Und darüber hinaus noch eine Liebesgeschichte, die man schöner nicht erzählen könnte.


Bewertung
Den kleinen Makel kann ich gerne übersehen angesichts eines derart schön erzählten, niemals unnötig ausschweifenden Romanes, der es schafft, auf so vielen verschiedenen Ebenen zu überzeugen. Unbedingt Lesen! (Und dabei vielleicht im Auge behalten, dass nicht alles in diesem Buch historisch korrekt ist. Was das angeht hätte ein Nachwort vielleicht nicht geschadet.)

5 Kommentare:

zeilenreisende hat gesagt…

Dass sich Liebe zu schnell entwickelt, das wäre bei mir kein Kritikpunkt denn sowas ist möglich. Aber was Fakten etc. betrifft so ist mir bereits im ernsten Roman aufgefallen, dass sich der Autor überhaupt nicht historisch weiterbildet. In diesem Buch ist es zwar ein wenig besser, aber er hat sich nicht mal über die Richtigkeit von russischen Namen erkundigt und nennt russische Worte die es in Russisch gar nicht gibt...die Fakten zum Thema Zarenfamilien und vor allem Anastasia will ich hier gar nicht erst anbringen, dass würde das Kommentarfeld sprengen...aber ja, das Buch hat mich doch sehr berührt!

animasoul hat gesagt…

Ich hab jetzt nur mal die Bewertung gelesen, da ich das Buch auch noch lesen will. ^^

Und dank deiner Bewertung ist es auch gleich einmal ein bisschen höher auf meiner Wunschliste gekrabbelt.

Cara hat gesagt…

Danke für deine Meinung! Ich bin letztens schon über das Buch gestolpert, war nach der Kurzbeschreibung aber skeptisch, weil ich noch kaum was aus der Ecke historisch/Osteuropa gelesen habe....jetzt habe ich es aber auf die WL gepackt =)

lg, Cara

Nanni hat gesagt…

"Unbedingt lesen!" Dem kann ich nur zustimmen. Es ist die Schreibe, die Art und Weise wie der Autor den Leser in eine schöne Geschichte einwebt, die dieses Buch zu einem ganz besonderen Buch machen.
"Das Haus zur besonderen Verwendung" ist eins meiner Lieblinge. Das Cover ist auch so schön :)

Karo hat gesagt…

Ich hab das Buch auch noch auf meinem SuB, allerdings auf Englisch. Bin sehr gespannt darauf und bei mir ist auch wieder etwas höher gerückt. :)