12. Januar 2011

Bettina Belitz - Scherbenmond

2. Buch der Splitterherz-Trilogie

Gebunden mit Schutzumschlag, 687 Seiten
€ (D) 19,95 | € (A) 20,60
ISBN 978-3839001226

Längst ist der Sommer vergangen, der Elisabeth Sturm die Augen öffnete für die gefährliche Welt der Mahre, der Sommer, in dem sie sich in einen von ihnen verliebte. Seit Monaten ist Colin nun verschwunden und Ellie quält sich durch einen nicht enden wollenden Winter. Die Tage tröpfeln gleichförmig vor sich hin, in den Nächten dagegen wird Ellie von Albträumen heimgesucht, die sie verstört zurücklassen. Um auf andere Gedanken zu kommen, quartiert Ellie sich bei ihrem Bruder in Hamburg ein. Doch sie erkennt Paul kaum wieder: Er wirkt erschöpft und gehetzt und scheint etwas vor ihr zu verbergen. Je mehr sie in Pauls Welt eintaucht, desto deutlicher überkommt Ellie ein Gefühl der Bedrohung und plötzlich weiß sie nicht mehr, wem sie noch trauen kann. Sie ahnt nicht, dass ihre Sorge um Paul und ihre Liebe zu Colin sie tiefer verletzen könnten als der abgründigste Traum …

Achtung Spoiler: Wenn ihr den ersten Teil "Splitterherz" noch nicht gelesen habt, enthält diese Rezension Spoiler für euch!


Was ich denke ...
Obwohl "Scherbenmond" den Faden im Winter, also einige Monate nach dem Finale von "Splitterherz", wieder aufnimmt, wartet das Buch mit einem direkten Handlungseinstieg ohne lange Erklärungen auf, was bei einem Umfang von beinahe 700 Seiten sicher nicht selbstverständlich ist. Die Stimmung ist ruhig, aber innerlich aufgewühlt - genau wie Ellie selbst auch.

Nach einem Herbst voller Auszehrungen, einer langen Krankheit und der ständigen Sehnsucht nach Colin, wirkt Ellie auf diesen ersten Seiten beinahe depressiv. Dass ihr Vater seit Wochen in Italien verschwunden ist, macht die Situation für sie und ihre Mutter nur noch schlimmer.
Dann erhält Ellie von ihrem Vater den Auftrag, nach Hamburg zu fahren und ihren Bruder Paul wieder nach Hause zu holen. Ein schwieriges Unterfangen - denn Paul ist fest davon überzeugt, dass der Vater nicht ganz richtig im Kopf ist - doch diese Möglichkeit, endlich aktiv zu werden, gibt Ellie die Kraft, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen.

Ellie ist der Mittelpunkt in "Scherbenmond" und wie schon bei "Splitterherz" ist mir wieder aufgefallen, wie einfach es ist, sie mir als reale Person vorzustellen. Ellie ist eine Protagonistin, die mir nicht nur überaus sympathisch ist, sondern zudem noch klipp und klar sagt, was Sache ist, ohne sich selbst etwas vorzumachen. Sie weiß, dass Colin sie allein gelassen hat, akzeptiert diese Tatsache und fragt sich sogar, ob es nicht besser wäre, sich selbst zu schützen und den Sommer mit ihm als Einbildung abzutun.

Tillmann spielt in diesem zweiten Teil eine sehr wichtige Rolle. Seit Tessas Angriff macht er Veränderungen durch, die ihn an den Rand des Erträglichen treiben, und trotzdem ist er für Ellie der beste Freund, den man sich nur wünschen kann. Er unterstützt sie wo er nur kann, nimmt kein Blatt vor den Mund - und spielt sich so mit Leichtigkeit in die Herzen der Leserschaft. Um es auf den Punkt zu bringen: Tillmann ist einfach nur genial! Ellie kann ja schon zynisch sein wenn sie will, aber Tillmann überbietet sie da bei weitem. Und auch wenn es ihm meistens an Feingefühl mangelt, schafft er es dafür immer den Nagel auf den Kopf zu treffen.
Im zweiten Drittel des Buches schließlich kommt eine neue Figur zum Cast hinzu, die ich sofort mochte: Die Journalistin Gianna Vespucci ist nicht nur laut (ich nehme mal an, daran ist das italienische Blut schuld), sondern bewirkte mit ihrer ehrlichen Art, ihren flotten - teilweise sehr ungewöhnlich - Aussagen und ihrem "running gag" Edward Cullen, dass sich meine Mundwinkel regelmäßig nach oben verzogen.

Der Edward-Cullen-running-gag bezieht sich natürlich auf Colin. Doch der hat nun wirklich nicht viel mit dem Twilight-Helden gemeinsam (und das meine ich absolut und ganz und gar im positiven Sinne!). Colin hat nicht nur seine schönen Seiten, er ist auch mal schlecht gelaunt, wird ruppig und ungeduldig, sagt Ellie seine Meinung und verschont sie nicht - weder beim Karate-Training noch wenn es um all die Wahrheiten und Herausforderungen geht, denen Ellie sich stellen muss. Was das angeht, bringt Belitz mit dem männlichen Counterpart wirklich frischen Wind in das Genre.
Leider müssen wir in "Scherbenmond" lange Zeit auf den guten Colin verzichten. Mich persönlich hat das nicht besonders gestört, denn wenn Colin auftritt dann tut er das mit einer gewaltigen Präsenz. Die Colin-freie Zeit hingegen - etwa zwei Drittel der Buchseiten - gehört ganz Ellie, Tillmann, Paul und später auch Gianna. Sie bietet Platz für diese Vierergruppe, den Geschehnissen auf die Spur zu kommen.

Was Charakterentwicklung anbelangt, steht "Scherbenmond" im Schatten seines Vorgängers. Ellie wird zwar reifer und entwickelt sich weiter, doch gar so einschneidende Veränderungen wie in "Splitterherz" gibt es nicht mehr.
Positiv aufgefallen ist mir lediglich, dass sie in gewisser Weise lernt, auf eigenen Beinen zu stehen, doch der finalen Schritt aus der Abhängigkeit fehlt ihr noch. Das zeigt sich vor allem darin, dass Ellie immer sehr schnell darin ist, gewisse Dinge einzusehen, nachdem man sie ihr dargelegt hat. Sie fügt sich und akzeptiert, dass jenes und jenes eben nötig war, obwohl es ihr Schmerzen bereitet hat. Für meinen Geschmack ist Ellie etwas zu leichtsinnig, wenn es ums Verzeihen geht - andererseits sind ihr Mitgefühl und ihre Anteilnahme zwei von Ellies wichtigsten Charakterzügen.
Auch die Beziehung zwischen Colin und Ellie macht einige Entwicklungen durch, die ich so nicht erwartet hätte. Ich dachte zuerst, dass es Ellie zerstören würde, doch schlussendlich ist es so, dass sie stattdessen im Verlauf des Buches immer stärker wird und sich mehr behauptet.

"Du hast einmal etwas sehr Schönes zu mir gesagt, obwohl du es kitschig fandest: Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Erinnerst du dich?"
Ich nickte.
"Eigentlich hat dieses Sprichwort noch einen zweiten Satz. 'Denn wer liebt, kehrt zurück.' Und jetzt lasse ich dich frei, Ellie."
- S. 239

Was die Handlung angeht möchte ich auf keine Fall zu viel verraten. Belitz verwebt hier mit Leichtigkeit die verschiedensten Aspekte miteinander, schafft es sogar über Colins Vergangenheit den Nationalsozialismus zur Sprache zu bringen. Besonders gut hat mir gefallen, dass durch das Auftauchen des Schlafmediziners Dr. Sand (genannt der Sandmann) auch die wissenschaftliche Seite nicht zu kurz kommt.
Außerdem werden gleich mehrere Szenarien, die die Existenz der Mahre unterstreichen und hervorheben sollen, dargebracht. Einmal abgesehen davon, dass dies eine fiktive Geschichte ist, tut die Autorin ihr Bestes, das Thema Mahre in unsere reale Welt einzugliedern.

Gestört haben mich ein bisschen diese ständig vorkommenden Traumsequenzen, die besonders gerne an Kapitelanfängen stehen. Diese verwirren anfangs häufig und auch wenn die meisten Träume später erklärt werden und dann auch einen Sinn ergeben, ein paar davon hätte man auch ganz leicht weglassen können.
So ähnlich ging es mir auch mit dem großen Finale, auf das die Handlung hinausläuft. Kurz gesagt, es war teilweise sehr seltsam und konfus erzählt. Später kommt dann natürlich eine Aufklärung, aber während des Lesens dieser Szene schwirrten bloß noch fiktive Fragezeichen um meinen Kopf herum.

Positiv zu erwähnen ist auf jeden Fall Bettina Belitz' unglaubliches Sprachgefühl. In "Scherbenmond" gibt es keinen einzigen Satz, der holprig klingt oder unausgefeilt wirkt. Selbst während der Zeiten, in denen Ellie sich zu nichts aufraffen kann und "nur" vor sich hin grübelt, bin ich ununterbrochen an den Seiten geklebt, denn selbst diese Sequenzen beschreibt die Autorin mit derart ausgeklügelten Sätzen, dass man nach dem nächsten Wort zu gieren beginnt.
Wie in den Charakteren schlägt sich auch in der Sprache die Ehrlichkeit nieder. Ellie macht sich ganz offen Gedanken über Sex und Orgasmen, Bettina Belitz schreibt über diese Themen genauso frei und unaufdringlich wie über den ganzen Rest.


Zugegeben, in "Scherbenmond" wird das Rad nicht neu erfunden, und natürlich gab es immer wieder kurze Momente und Situationen, die mich an Twilight und Konsorten erinnert haben. Aber jedes Mal hat es Belitz durch eine gewieften Einsatz wieder ausgebügelt und die Szene dadurch völlig anders wirken lassen.
Das, die Sprache und die Charaktere sind es, die "Scherbenmond" - und auch "Splitterherz" - in meinen Augen so lesenswert machen und von der großen Masse am Markt unterscheiden. Manchmal kam es mir fast so vor, als würde die Autorin mit den Gedanken und Erwartungen ihrer Leser spielen.

Alles in allem habe ich jedes Wort in "Scherbenmond" genossen! Die Handlung bleibt nach "Splitterherz" nicht stehen, sondern entwickelt sich weiter, Ellie geht neue Wege, versucht Lösungen für ihre Situation zu finden und aktiv zu sein. Ein würdiger zweiter Teil.


Bewertung
Ich habe nicht viel an "Scherbenmond" auszusetzen, und auch diese minimalen Dingen, die mich gestört haben, können nicht darüber hinwegtäuschen, wie schön dieses Buch ist. Sprachlich und inhaltlich schön, aber dabei melancholischer als der erste Teil.






Danke an Script5

12 Kommentare:

Marie hat gesagt…

*seufz*
Du hast es schon und auch schon gelesen... Da werd ich ganz neidisch. Naja, das Leseexemplar kommt in den nächsten Tagen :D

GLG
Marie

StefanieEmmy hat gesagt…

Hab zwar eine ganze Woche gebraucht mit dem ganzen anderen Zeugs das ich nebenher gemacht habe, aber es war so toll! :D Kannst dich drauf freuen! ^^

Caroline hat gesagt…

Eine wirklich schöne und so ausführliche Rezension! :) Hätte ich nicht schon vorher sehnsüchtig auf "Scherbenmond" gewartet, würde ich es spätestens jetzt tun.
Ich freu mich schon wie blöde auf mein Exemplar, das hoffentlich bald eintrudelt...

Karo hat gesagt…

mensch, das hast du aber wirklich ausführlich geschrieben. besonders die charakterbeschreibungen gefallen mir ausnehmend gut, da hast du es auf den punkt getroffen (obwohl paul ein bisschen fehlt ;). was die handlung angeht, kann ich dir nur voll zustimmen, in meiner eigenen rezi habe ich auch was mit "fragezeichen im kopf" geschrieben, somit sind wir uns da anscheinend sehr einig. :)))

StefanieEmmy hat gesagt…

Zu Paul hatte ich nicht viel zu sagen, nur das was sowieso schon im Klappentext steht ;D
Ich hab deine Rezi noch gar nicht gelesen, muss ich mal nachholen - ist die schon veröffentlicht? Aber schön wenn wir uns einig sind ^^

Karo hat gesagt…

ich hatte ja schon auf deine rezi gejiepert und jeden tag auf deinem blog geschaut, ob du schon fertig bist. :) hat mich nämlich sehr interessiert, was du sagst. war mir selbst unsicher, wie ich bewerte am anfang, aber ich denke, ich kann jetzt gut damit leben, weil ich nicht allein mit meiner meinung da stehe. ;)

Philia Libri hat gesagt…

HIBBEL! (Hab grad Jackie für dich geknutscht ^^)

Miss Bookiverse hat gesagt…

Dem kann ich mich ja so gar nicht anschließen xD Habe mich das ganze Wochenende durchs Buch gequält und so oft genervt aufgeschrien. Ellie verhält sich oft so kindisch, zickig, launig und einfach unnachvollziehbar... aber ich lasse mich dann mal ausführlich in meinem Blog darüber aus, will ja hier nicht die positiven Vibes verscheuchen ;)

StefanieEmmy hat gesagt…

xD Das hab ich mir nach den kurzen Meinungs-Schnippsel auf GR schon gedacht *g* Da sieht man mal, wie unterschiedlich Bücher ankommen können. ^^ Bin jetzt natürlich echt gespannt auf deine Rezension. :)

Miss Bookiverse hat gesagt…

Die wird wirklich nicht nett die Rezension ;D
Ja, Wahrnehmung ist verschieden, obwohl es mir echt ein Rätsel ist wie du (oder irgendwer) Ellie mögen kannst. Wahrscheinlich punktet sie mit ihrer Biologie-Vorliebe bei dir oder? ;)

StefanieEmmy hat gesagt…

Ich weiß gar nicht genau, warum ich sie mag. Ihr naturwissenschaftliches Interesse spielt da aber sicher mit rein. ^^ Belitz' Schreibstil hat mich ja sehr beeindruckt, wahrscheinlich hab ich mir auch über den Schreibstil ein Bild von Ellie gemacht, das spielt ja doch irgendwie zusammen. :)

Miss Bookiverse hat gesagt…

Den Schreibstil fand ich größtenteils auch ganz gut, aber viele Metaphern gingen echt gar nicht (tropfende Herzen und so).